- E-Logistik
- von Professor Dr. Winfried KriegerI. Begriff und AbgrenzungDer Begriff E-Logistik als deutschsprachige Adaption des Begriffs Electronic Logistics ist in den letzten Jahren in den allgemeinen wirtschaftlichen Sprachgebrauch übernommen worden. E-Logistik steht gleichberechtigt neben den betrieblichen Funktionen E-Commerce und E-Procurement, die durch die wachsende Verbreitung des Internet weltweit an Bedeutung gewonnen haben.E-Logistik ermöglicht es, Planung, Aufgabenerfüllung und Kontrolle logistischer Aufgaben durch Nutzung von Internettechnologien wirtschaftlicher zu gestalten und gleichzeitig Logistikservices zu verbessern.Neben den direkten Veränderungen im Logistikbereich sind folgende abgeleitete Wirkungen der neuen Internetbasierten Technologien auf die Logistik erkennbar.Neue logistische Anforderungen aus wachsendem E-Commerce und E-Procurement – hierzu gehören v.a. veränderte Strukturen im Transportaufkommen. Bereits heute ist erkennbar, dass sich Sendungsgrößen verkleinern werden. Dies gilt sowohl für den Business-to-Business Bereich, wo durch verkleinerte Bestellmengen und häufigere Belieferungen die Sendungsgrößen sinken werden, als auch für den Business-to-Consumer Bereich, wo durch den wachsenden Anteil der direkten Endkundenbelieferung kleinteilige Sendungsstrukturen entstehen.Veränderte Vertriebs- und Marketingprozesse für logistische Dienstleister. Logistische Dienstleister haben sich zukünftig auf Marketing-Maßnahmen und Kundenkommunikation mittels Web-basierter Technologien einzustellen. Kurze Entscheidungswege und zeitkritische Prozesse sollten implementiert werden.II. Ausgangssituation und KonzeptionIn den letzten Jahrzehnten wurden wesentliche Entwicklungsschübe der ⇡ Logistik durch die Implementierung verbesserter Informations- und Kommunikationstechnologien angestoßen. Seit Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts kommt den Kommunikationstechnologien hierbei ein besonderer Stellenwert zu. Erst die Nutzung dieser Technologien ermöglichte die Umsetzung neuer logistischer Konzepte wie Just in Time Belieferungen oder Efficient Consumer Response. Auch die telematischen Konzepte zur Verkehrs- und Transportsteuerung basieren hierauf.Trotz erfolgreicher IT-Konzepte zur Verbesserung der logistischen Effizienz und zur Steigerung des Kundenservice, gelang es häufig nicht, kleinere Unternehmen in diese unternehmensübergreifenden Prozessketten zu integrieren. Fehlende finanzielle Mittel, fehlendes Know-how und unzureichende Wirtschaftlichkeit der implementierten Kommunikationslösungen verhinderten eine weitreichende Durchdringung in der Logistikwirtschaft.Im Gegensatz dazu bieten heute Internettechnologien und internetbasierte Prozesse spezifische Chancen zur Überwindung dieser Probleme.Der originäre betriebswirtschaftliche Vorteil der Internetbasierten Technologien liegt in der Reduzierung von ⇡ Transaktionskosten. Damit eröffnen sich zahlreiche neue Einsatzfelder und Prozessabläufe.Folgende Unterschiede kennzeichnen die heute eingesetzten Internettechnologien: Sie sind in stärkerem Maße technologisch, bezüglich der Anwenderoberflächen und der Mensch-Maschine-Schnittstelle standardisiert, sie sind in den Industrienationen und Schwellenländern ubiquitär verfügbar und sie haben relativ geringe Einstiegs-Investitionen verglichen mit traditionellen Technologien. Zusätzlich existieren zahlreiche Dienstleistungsangebote, die eine Fixkostenbindung vermeiden und weitgehend variable Kostenverläufe der Nutzung ermöglichen.Ökonomisch eröffnen internetbasierte Technologien besonders für klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) neue wirtschaftliche Möglichkeiten elektronische Kommunikationsbeziehungen mit anderen Unternehmen und mit privaten Geschäftspartnern aufzubauen und sich nahtlos in Wertschöpfungsnetzwerke auch größerer Partner zu integrieren.III. Aufgaben und LösungsansätzeDas Aufgabenspektrum der E-Logistik kann in Abhängigkeit von der Branche in zwei Gruppen eingeteilt werden. Zum einen sind dies Ansätze in Unternehmen, deren Geschäftsziel nicht im Bereich Logistik liegt (Industrie-, Handelsunternehmen oder Unternehmen des öffentlichen Bereichs); zum zweiten sind dies Konzepte und Lösungen für logistische Dienstleister.Da sich erstere häufig logistischer Dienstleister zur Erfüllung ihrer logistischen Aufgaben bedienen, ist eine solche Abgrenzung in beide Richtungen als durchlässig anzusehen.Die heute eingesetzten Werkzeuge im Bereich E-Logistik konzentrieren sich auf die folgenden drei Anwendungsfelder:Sendungsverfolgung und Supply Chain Event Management sind Konzepte zur verbesserten Visibilität entlang der Versorgungsketten. Die wachsende Notwendigkeit von unternehmensübergreifender Prozessketten zur redundanz- und störungsfreien Prozessgestaltung erfordert aktuelle Informationen über sämtliche Prozesselemente und deren Stati entlang dieser Prozessketten. Neben der Online-Sammlung der Daten sind diese direkt in entscheidungsrelevante Informationen zu transformieren und allen beteiligten Supply Chain Partnern zur Verfügung zu stellen. Heute typische Sendungsverfolgungssysteme beschränken sich ausschließlich auf die Beobachtung und nachträgliche Analyse der Transportprozesse. Zukünftiges Supply Chain Event Management geht darüber hinaus und umfasst die durch definierte Ereignisse ausgelöste Steuerung logistischer Prozesse. Die dazu notwendigen Informationssysteme werden Internettechnologien umfänglich nutzen und vorhandene EDI-Technologien sukzessive ablösen.Prozessintegration entlang der Supply Chain ist der folgende Entwicklungsschritt auf Basis der verbesserten Visibilität. Planungs- und Umsetzungsaufgaben der Partner entlang der Supply Chain werden unmittelbar miteinander verzahnt und ermöglichen ein durchgängiges Prozessmanagement in Echtzeit. Zu den wesentlichen Aufgaben hierbei gehören das Auftrags- und Kapazitätsmanagement sowie die Transport- und Bestandssteuerung. Während ersteres darauf zielt, Kundenanforderungen und die zur Befriedigung notwendigen Kapazitäten in den Beschaffungs- und Fertigungsbereichen kontinuierlich abzugleichen und fehlende und/oder überschüssige Kapazitäten innerhalb der Supply Chain auszugleichen, reagiert der zweite Aufgabenbereich auf die sich kurzfristig verändernden Marktgegebenheiten im Absatzbereich, indem Bestände und damit verknüpfte Transporte/Lieferungen über das gesamte Versorgungsnetzwerk koordiniert werden.Vertrieb logistischer Dienstleistungen, die traditionelle Auftragsvergabe auf logistischen Spotmärkten und im Bereich der Kontraktlogistik wird durch das Vordringen elektronischer Transportbörsen und internetbasierter Beschaffungsprozesse (E-Procurement) grundsätzlich verändert. Neben den notwendigen technischen Voraussetzungen, um an diesen neuen Prozessen teilnehmen zu können, sind signifikante Veränderungen in den Entscheidungsabläufen der Dienstleistungsanbieter zu implementieren. Hierzu gehören primär elektronische Ausschreibungen, Online-Auktionen zur Preisbildung und kontinuierliche elektronische Kommunikation im Rahmen der Auftragsvergabe.Voraussetzung zur Implementierung von E-Logistik ist neben der Integration der internetbasierten Systeme in die vorhandenen IT-Systeme, eine Weiterentwicklung der organisatorischen Abläufe und Prozesse sowie eine klare Zielfokussierung aller Supply Chain Partner auf die Ausschöpfung von synergetischen Potenzialen und der Überwindung von Informationsbarrieren. Limitierende Faktoren sind häufig die unterschätzte Aufgabe der Integration von E-Logistik-Lösungen in bestehende Anwendungsarchitekturen, die mangelnde Ausbildung in der Anwendung dieser Technologien sowie die unzureichende Nutzung personeller Entwicklungspotentiale der Mitarbeiter für die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit. V.a. KMU haben gegenüber Großunternehmen in der Veränderung von Führungs- und Managementprozessen in Richtung E-Business und E-Logistik noch signifikanten Nachholbedarf.IV. AusblickFür die Zukunft sind folgende Entwicklungsrichtungen erkennbar: Die Einführung neuer leistungsfähigerer Standards für Mobilkommunikation wird in Verbindung mit wachsender telematischer Ausstattung von Fahrzeugen und verbesserten Identifikationsmöglichkeiten logistischer Objekte durch elektronische Tags zu einer nahtlosen Visibilität innerhalb der Supply-Chains für die Marktver- und Entsorgung führen. Dabei kommt der Integration der KMU wachsende Bedeutung zu. Die Reduzierung der wirtschaftlichen Einstiegsschwelle durch Nutzung internetbasierter Technologien ist die wesentliche Voraussetzung zur Erreichung dieses Zieles. Aus dieser Visibilität heraus wird es zur ortsunabhängigen Vernetzung über verschiedene informationstechnologische Landschaften kommen, die dann Fertigungs- und Beschaffungsbereiche mit logistischen Kapazitätsbörsen zu branchenübergreifenden Portalen integrieren wird.Neben diesen Chancen ergeben sich durch E-Logistik auch neue Herausforderungen für die Logistikbranche. Neue Wettbewerber aus den osteuropäischen Staaten und aus den neuen Beitrittsländern der EU, erhalten durch die neuen Technologien die Möglichkeit eines ökonomischen Markteintritts in ihnen bisher nicht zugänglichen Märkten, wodurch der wirtschaftliche Druck auf die inländischen Unternehmen wachsen wird.Globale internetbasierte Netzwerke werden es ermöglichen den tradierten Widerspruch zwischen Economies of Scale und Economies of Scope aufzubrechen und durch globale Integration der Supply Chain zwischen Zulieferern, Produzenten, Händlern und Kunden neue Synergien zu nutzen.
Lexikon der Economics. 2013.